Was auch Wichtig ist
 
Hilfe zur Selbsthilfe

Eine gute Möglichkeit aus der Isolation auszubrechen bieten Selbsthilfegruppen. Selbsthilfe entsteht immer dort, wo Menschen Notlagen aus eigener Kraft meistern. Formen der Selbsthilfe finden sich bereits in den Mittelalterlichen Gilden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben Menschen Selbsthilfe in Genossenschaften verwirklicht und nach dem 2. Weltkrieg wurden Selbsthilfe Organisationen gegründet. Sie vertreten die Interessen von Menschen, die unter den Folgen von Krankheit und Behinderungen leiden. Seit dem Ende der siebziger Jahre gibt es Selbsthilfegruppen in Deutschland. Ihre Mitglieder helfen sich gegenseitig, die ständigen Anforderungen im täglichen Leben zu meistern. Die Mitglieder einer Selbsthilfegruppe stehen in ähnlicher Lebenssituation.
Das Ziel ihrer gemeinsamen Arbeit ist die:

  • Bewältigung sozialer, persönlicher oder krankheitsbedingter Belastungen
  • die persönliche Situation des einzelnen Gruppenmitglieds zu verbessern
  • seine sozialen Fähigkeiten zu stärken oder zu erweitern.


  • Die Methode von Selbsthilfegruppen ist das regelmäßige - meist wöchentliche - gemeinsame und gleichberechtigte Gespräch. Menschen die in einer Selbsthilfegruppe arbeiten, stärken sich durch ihre vertrauensvolle Beziehung zu den anderen Gruppenmitgliedern. Sie festigen ihr Selbstwertgefühl und lernen, ihre sozialen Beziehungen außerhalb der Gruppe zu verbessern. Die positiven Wirkungen von Selbsthilfegruppen sind in Forschungsberichten und vielen Erfahrungsberichten beschrieben. Die Mitglieder von Selbsthilfegruppen leiden weniger unter Depressionen und seelisch bedingten körperlichen Beschwerden, sind selbständiger, selbstbewusster und verfügen über bessere, soziale Kontakte als andere Menschen in vergleichbaren Situationen.

    Chronisch kranke oder behinderte Menschen lernen in einer Selbsthilfegruppe ihre Erkrankung oder Behinderung anzunehmen und mit ihr zu leben, sie erobern sich eine neue Lebensqualität, nehmen professionelle Hilfsangebote gezielter und kritischer in Anspruch.

    Die Mitglieder einer Selbsthilfegruppe lernen voneinander und miteinander, wofür sie eine gemeinsame Vertrauensbasis brauchen. Aus diesem Grund verpflichten sie sich, in der Gruppe besprochenes nicht an Außenstehende weiter zu geben. Jeder bearbeitet seine eigenen Schwierigkeiten gemeinsam den anderen durch das Gespräch, in der Gruppe hilft jeder jedem und so hilft die Gruppe dem Einzelnen. Das A und O einer Selbsthilfegruppe ist also von Anfang an das "Gespräch".

    Auch hierbei uns auf der Homepage findest du eine Liste von Selbsthilfegruppen. Die Liste wird ständig erweitert und bestimmt gibt es auch in deiner Nähe eine Selbsthilfegruppe.

Behinderung und Sexualität

Nun was hat die Sexualität mit Inkontinenz zu tun? Das ist eigentlich eine gute Frage, aber es ist so, daß diese Themen sehr Eng miteinander verbunden sind. Denn in den allermeisten Fällen sind die gleichen Nervenstränge davon betroffen, die sowohl für die Blasen und Darmschließmuskeln zuständig sind, als auch für die sexuellen Funktionen der Genitalorgane.
Eine Rückenmarkschädigung infolge angeborener oder erworbener Querschnittlähmung geht in der Regel mit einer schweren Beeinträchtigung der sexuellen Funktionen der Genitalorgane einher. Dabei wird fälschlicherweise das Fehlen der physiologischen Sexualfunktion dem Fehlen der sexuellen Empfindung, Verlangen bzw. dem Fehlen der Sexualität gleichgesetzt. Das Bild des impotenten querschnittgelähmten Mannes bzw. der empfindungslosen, passiven querschnittgelähmten Frau prägt die Einstellung von Nichtbehinderten gegenüber den Querschnittgelähmten, als auch die Einstellung der Querschnittgelähmten untereinander. Viele Querschnittgelähmte glauben selbst, bzw. deren Partner, daß sie auf Grund ihrer funktionellen Behinderung auf sexuelles Erleben verzichten müßten. Unsere Einstellung zur Sexualität hat sich - erfreulicherweise - in den letzten Jahren zum Positiven verändert. Der medizinische Fortschritt gibt uns die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob und wann wir Kinder haben wollen.

Die Sexualität wird jetzt als ein wertvolles wesentliches Grundbedürfnis angesehen, auf das alle Menschen, unabhängig von dem Wunsch nach Kindern, ein Recht haben. Jeder Mensch, gleich welchen Geschlechts und Alters, und ob behindert oder nicht, ist ein geschlechtliches Wesen. Aber leider weiß man nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in dem Personenkreis, der beruflich mit Behinderten umgeht, und natürlich auch in den Familien von Behinderten, meist nichts von deren sexuellen Bedürfnissen, oder man will nichts davon wissen. Jeder Mensch, ob behindert oder nicht, hat ein Recht, über alle Aspekte der Sexualität aufgeklärt zu werden, und er hat ein Recht auf ein eigenes Sexualleben und intime Beziehungen zu anderen Menschen. Dabei ist das Wissen von Behinderten über Sexualität und über ihre eigenen Möglichkeiten zweifellos geringer, als das von Nichtbehinderten. Häufig werden Kinder mit einer angeborenen Querschnittlähmung von den Eltern abgeschirmt und so behandelt, als wäre es nicht notwendig, etwas von Sexualität zu wissen. Auch wer später eine Behinderung erleidet, wird feststellen, daß in der Rehabilitation die Sexualität meistens "zu kurz kommt". Lediglich bei der Behandlung der Sexualstörungen des traumatisch querschnittgelähmten Mannes hat es in den letzten Jahren gewisse Fortschritte gegeben, auf die ich noch zu sprechen komme.

Die Sexualität der behinderten Frau bleibt, abgesehen vom Gesichtspunkt der Fruchtbarkeit und eines rein passiven Sexualverhaltens, weitgehend unberücksichtigt und ist, zugegebenermaßen, weitgehend unerforscht. Jeder Mensch hat ein Recht auf ein Sexualleben, und es ist kaum eine Behinderung denkbar, bei der der Wunsch nach Sexualität völlig fehlen würde. Sexuelle Lust zu empfinden, gemeinsam mit einem Partner, oder alleine, hängt nicht unbedingt von einer Erektion oder genitalen Empfindung ab. Jeder Mensch muß seine eigenen sexuellen Wünsche und Erlebnismöglichkeiten entdecken und auch den besten Weg, um diese zu verwirklichen. Auf der anderen Seite hängt eine glückliche Beziehung zweier Menschen nicht allein von ihren sexuellen Aspekten ab. Zweifellos bestehen erhebliche Unterschiede zwischen Menschen mit angeborener und erworbener Querschnittlähmung: Während ein Mensch mit einer erworbenen Querschnittlähmung seine Sexualität stets am Zustand vor dem Unfall orientieren wird - und diesen Zustand möglichst wieder erreichen will - stehen diese prätraumatischen Erfahrungen dem Heranwachsenden mit einer angeborenen Querschnittlähmung nicht zur Verfügung. Richtig wäre es also, zwischen "Habilitation" und "Rehabilitation" zu unterscheiden. Es wäre nun völlig einseitig, beim Heranwachsenden mit einer Querschnittlähmung nur auf die rein neurologischen Defizite abzuheben; vielmehr ist die Entwicklung der Sexualität einerseits durch organische Probleme, andererseits durch psychosoziale Entwicklungsprobleme belastet. Hierzu gehören:

1. Eine gestörte Beziehung zum eigenen Körper, insbesondere zur gelähmten Körperpartie, die Entwicklung eines "Körperschemas" mit Aktion und Reaktion, das Erlernen eigener Reaktionen und Erfahrungen unterbleibt. Häufig wird die behinderte Körperpartie abgelehnt, als nicht zu sich gehörig empfunden, und es wird - im wahrsten Sinne des Wortes - lieblos mit dem gelähmten Körperteil umgegangen. Eine besondere Rolle spielt dabei die Inkontinenz, die als ständiges Problem erlebt wird. Damit einher geht die Angst ihrer Entdeckung und daß mit ihr sexuelles Versagen verbunden ist.

2. Die sexuelle Entwicklung des behinderten Kindes wird in der Regel durch die Eltern erschwert oder blockiert, die Sensibilisierung anderer Körperregionen für Zärtlichkeit oder sexuelle Reize unterbleibt. Lange Krankenhausaufenthalte bedeuten zusätzlich eine erhebliche Einbuße an Geborgenheit. Behinderte Kinder werden überdurchschnittlich lange "behütet", die Ablösung vom Elternhaus erschwert. Sexualität gilt als etwas überflüssiges - "das muß doch nicht auch noch sein".

3. Minderwertigkeitsgefühle und Versagensängste prägen das Denken vieler Behinderter, die sich an den Normen Nichtbehinderter orientieren.

4. Probleme bei der Partnerfindung und in der Partnerschaft. Schon der eingeschränkte "Aktionsradius" eines Rollstuhlfahrers, die noch häufig anzutreffende ablehnende Haltung der Nichtbehinderten, muß eine Partnerfindung erschweren. Es kann kein Zufall sein, daß es überdurchschnittlich häufig Beziehungen zwischen Querschnittgelähmten und ihren Therapeuten gibt.

5. Unkenntnis über sexualbiologische Zusammenhänge. Dabei spielt sicher eine erhebliche Rolle, daß die um Rat ersuchten Ärzte oft dieselben Hemmungen in sexuellen Fragen haben wie ihre Patienten, und viele wissen nichts über die sexuellen Aspekte einer Behinderung oder die speziellen Behandlungsmethoden. Sie weichen entweder dem Thema aus oder verstecken sich aus Selbstschutz hinter Fachausdrücken. Andererseits haben Behinderte sicher Hemmungen, genauer nach etwas nachzufragen, "was ihnen eigentlich gar nicht zusteht". Sie mögen mehr als Nichtbehinderte fürchten, mit ihren Fragen auf Unverständnis, ja Spott zu stoßen.

Dem stehen auf der organischen Seite beim Querschnittgelähmten folgende Probleme gegenüber:

1.
Fehlende Sensibilität der Genitalorgane und damit Verlust der genitalen Orgasmusfähigkeit.

2. Unzureichende oder fehlende Erektionsfähigkeit bei Männern und fehlende Lubrikation der Scheide bei der Frau.

3. Ein objektiv oder subjektiv zu kleines Genitale, unter Umständen in Kombination mit anderen Entwicklungsstörungen, wie z.B. einem Maldescensus testis.

4. Verminderte Fruchtbarkeit.

5. Harn- und Stuhlinkontinenz.

6. Behinderung oder Entstellung durch Wirbelsäulenverkrümmung, Operationsnarben, Dekubitalgeschwüren, Gelenkfehlhaltungen oder Spastizität. Besonders sei an dieser Stelle die enge Beziehung zwischen Harn- und Stuhlinkontinenz und Sexualität hingewiesen, eine "unbeherrschbare" Inkontinenz stellt in der Regel eine unüberwindbare Barriere für körperliche sexuelle Kontakte dar. Auf Grund der Fortschritte der Medizin auf dem Gebiet der Neurourologie ist es aber heute bei fast jedem Querschnittgelähmten möglich, zumindest "soziale" Kontinenz, d.h. Kontinenz für einen bestimmten, beschränkten Zeitraum, zu erreichen. Urologie und Sexualmedizin stehen dabei in einem engen Zusammenhang, diagnostische und therapeutische Verfahren müssen koordiniert werden. Entsprechende Maßnahmen, um Kontinenz zu erreichen, sollten spätestens bis zur Mitte des zweiten Lebensjahrzehntes eingeleitet bzw. abgeschlossen sein. Dabei muß die Art der Blasenentleerung bzw. Inkontinenzversorgung individuell und auf die speziellen Bedürfnisse und Möglichkeiten des Betroffenen abgestimmt sein. Keinesfalls darf dabei nach einem starren Schema, es sei nur an die routinemäßige Versorgung von Spina bifida-Kindern mit einem Ileum-Conduit in den sechziger Jahren erinnert, verfahren werden.

Für den neurologisch orientierten Urologen ist bei der Beratung von Menschen bzw. Paaren mit einer Querschnittlähmung mit sexuellen Fragestellungen zunächst die genaue Kenntnis der neurologischen Defizite notwendig bzw. die genaue Kenntnis der verbliebenen Restfunktionen. Eine tiefergehende neurologische Untersuchung wird es erlauben, folgendes zu ermitteln:

1. Die obere Grenze des Läsionssyndroms. Sind die sakralen Segmente S2 - S4 intakt? Reicht die Lähmung über Th12?

2. Die Ausdehnung dieses Läsionssyndroms. Ist die Lähmung inkomplett? Gibt es Restsensibilität?

3. Der Zustand des Rückenmarks unterhalb der Läsion.

Besteht Spastik bzw. eine Reflexreaktion des Rückenmarks? Gibt es Restfunktionen? Das Lähmungsmuster bzw. der Grad der Körperbehinderung ist bei Patienten mit einer Bogenschlußanomalie ("Spina bifida"!) sehr variantenreich. Dies reicht von "normalen Fußgängern", bei denen die Diagnose einer Spina bifida occulta eher zufällig gestellt wird, und die zumindest vordergründig keinerlei neurologische Defizite aufweisen, bis zu schwersten Körperbehinderungen mit kompletter Paraplegie, eventuell kombiniert mit anderen Mißbildungen, wie z.B. einem Hydrocephalus. Bei Menschen mit einer Spina bifida ist in der Regel eine mehr oder weniger inkomplette Paraplegie vorherrschend, die nur schwer zu klassifizieren ist.

Wichtig hierbei ist, ob die Schädigungszone oberhalb oder im Bereich der Rückenmarksegmente S2 - S4 bzw. Th12 liegt. Alle Kombinationen von spastischer oder schlaffer Lähmung oder erhaltener neurologischer Funktion sind dabei denkbar. Nach sorgfältiger Erhebung der Anamnese, insbesondere mit detaillierten Angaben über sexuelles Verhalten, Sensationen oder Empfindungen, sollte dann im Rahmen der körperlichen Untersuchung versucht werden, die genaue Höhe und das Ausmaß der Rückenmarkschädigung zu bestimmen. Von neurologischer Seite sind dabei besonders wichtig, neben der Beurteilung der sensiblen Funktionen, die sogenannten Sakralreflexe: der Analreflex, der Bulbocavernosusreflex, der Hustenreflex und Kremasterreflex. Von urologischer Seite sollte gezielt nach psychogenen Erektionen, morgendlichen Erektionen und nächtlichem Samenerguß gefragt werden. Grundsätzlich sollte daneben eine gründliche urologische Untersuchung mit Beurteilung der oberen und unteren Harnwege, einschließlich einer urodynamischen Untersuchung, durchgeführt werden. Eine andrologische Untersuchung kann, sofern Sperma zu gewinnen ist, Auskunft über die Fruchtbarkeit geben. Bei Paaren mit Kinderwunsch kann eine gynäkologische Untersuchung notwendig sein. Erektionsfähigkeit, Ejakulation und sexuelles Empfinden bzw. Orgasmusfähigkeit sind Funktionen, die je nach Höhe und Art der Rückenmarkschädigung unterschiedlich gestört sein können. Daneben besteht fast stets bei Männern eine Störung der Fruchtbarkeit auf Grund einer auch heute nicht näher bekannten Störung der Samenproduktion bei Querschnittgelähmten.

Ganz grob lassen sich die sexuellen Funktionsstörungen bei Querschnittgelähmten in 3 Gruppen einteilen:

1. Reflektorische, autonome Sexualfunktion bei Querschnittlähmung oberhalb von Th12. Wie bei der sogenannten Reflexblase führt eine Unterbrechung oberhalb der sakralen Rückenmarksegmente zu einer reflektorischen Erektion nach direkter Reizung der äußeren Genitalorgane. Diese ist etwa bei 90% der Betroffenen vorhanden und bei etwa 60% ausreichend für einen Koitus. Eine Ejakulation wird lediglich bei 5% beobachtet.

2. Areflektorische Sexualfunktion bei Querschnittlähmung unterhalb Th12. Bei einer Schädigung der sakralen Rückenmarksegmente ist eine reflektorische Erektion unmöglich, dennoch erreichen etwa 25% der Betroffenen eine psychogene Erektion, wenn die Rückenmarksegmente in Höhe Th12 intakt sind. Diese Erektion ist jedoch nur bei 25% der Betroffenen für einen Koitus ausreichend.

3. Störung der Sexualfunktion bei inkompletter Querschnittlähmung. Bei inkompletter Querschnittlähmung oberhalb Th12 mit erhaltener Restsensibilität erreichen fast alle Patienten eine für den Koitus ausreichende Erektion, sowohl reflektorisch als auch psychogen, sowie 30% eine Ejakulation.

Erektion

Die Vermittlung der psychogenen Erektion erfolgt über sympathische Zentren des Rückenmarks in Höhe von Th11 - L2 über den N.hypogastricus, eine zweite "Reflexschleife" erfolgt über die Rückenmarksegmente S2 - S4, die dafür verantwortlich sind, daß eine direkte Reizung der äußeren Geschlechtsorgane eine "Reflexerektion" zur Folge haben kann. Reflexerektionen findet man in allen Fällen von Querschnittlähmung, deren Lähmungssyndrom den Conus medullaris, also den untersten Anteil des Rückenmarkes, nicht beeinträchtigen. Diese Reflexerektionen sind häufig von guter Qualität und ermöglichen den Koitus. Sie können durch gewisse Positionen oder Anregungen erleichtert werden und hängen manchmal vom Füllungszustand der Harnblase oder des Enddarms ab. Durch den Einsatz eines Vibrators kann eine Reflexerektion u.U. erheblich verbessert werden.

Ejakulation

Die Ejakulation wird ebenfalls über die Rückenmarksegmente S2 - S4 vermittelt, dabei ist jedoch ein sehr differenziertes Zusammenspiel einzelner Nervenanteile erforderlich, so daß die Ejakulation meist häufiger gestört ist als die Erektion. Wenn sich bei Querschnittgelähmten das Schädigungssyndrom ganz oder weit über die Zone von Th10 - L1 ausdehnt, so ist jede Ejakulationsmöglichkeit ausgeschlossen. Bei der Ejakulation ist das Einschalten eines wichtigen Reflexes zu bedenken, nämlich der Reflex des Blasenhalsverschlußes in der Austreibungsphase, was die Abgabe der Samenflüssigkeit durch die Harnröhrenmündung erlaubt. Wenn der Blasenhals sich dabei nicht schließt, sei es aus funktionellen oder organischen Gründen, so wird die Ejakulation rückläufig in die Harnblase stattfinden.

Orgasmus

Die Empfindungen bei einem Orgasmus sind je nach Höhe des Lähmungsniveaus sehr unterschiedlich. Für den Querschnittgelähmten ist die Kenntnis der entsprechenden Sensationen wichtig, da auch ein Orgasmus "geübt" werden kann. Bei sehr tiefen Lähmungen, wie dies bei Meningomyelozelen eher häufig ist, kann eine nahezu "normale" Orgasmusempfindung vorhanden sein. Oft werden diese Empfindungen als abgestumpft geschildert. Sie können mit schmerzhaften Empfindungen an den unteren Gliedmaßen verbunden sein. Meistens ist eine vorzeitige Ejakulation mit ihnen verbunden. Findet sich das Lähmungsniveau höher, d.h. oberhalb von Th12, so gehen einem Orgasmus spastische Erscheinungen in den unteren Gliedmaßen oder ein Gefühl von Bauchschmerzen voraus. Zumindest zu Beginn wird er meistens als unangenehmes Gefühl empfunden, das häufig mit Zeichen autonomer Hyperreflexie verbunden ist.

Diese unangenehmen Empfindungen verschwinden beim traumatisch Gelähmten allmählich zugunsten eines eher angenehmen Gefühls von Wärme und Wohlsein. Dabei wird die Ejakulation häufig selbst vom Patienten nicht empfunden. Anschließend wird häufig über ein totales Ausbleiben der Spastik berichtet, das einige Stunden andauern kann. Bei inkompletten Lähmungen, insbesondere wenn die Hinterstränge des Rückenmarks erhalten sind, d.h. beim Erhalt der Oberflächensensibilität, können Orgasmusempfindungen normalen Empfindungen mehr oder weniger nahestehen. Da ein Orgasmus eine "Corticalisierung" einer neurovegetativen Erscheinung ist, hängt er zum größten Teil vom vorher Erlebten und vom psychologischen Zustand des Betroffenen ab. Gerade bei Querschnittgelähmten, deren Lähmung mehr oder weniger komplett ist und die zu keinem genitalen Orgasmus fähig sind, kann trotzdem das Gefühl sexueller Erfüllung eintreten, da das Gehirn unabhängig von den Geschlechtsorganen erotische Empfindungen hervorbringen kann.

Sexuelle Empfindungen sind auch an Körperstellen möglich, die üblicherweise nicht als erogene Zonen angesehen werden, es gibt praktisch keine Stelle am Körper, die für erotische Stimulation nicht empfindlich wäre oder werden könnte. Es gibt sicher hunderte von Möglichkeiten, sexuelle Gefühle zu empfinden und auszudrücken, und keine davon ist richtig oder falsch. Alle sind richtig, wenn sie lustvoll und befriedigend sind und von beiden Partnern akzeptiert werden. Wichtig ist, die eigenen Möglichkeiten zu kennen und verschiedene auszuprobieren, um herauszufinden, was am meisten erregt und befriedigt. Diese können dann gezielt "geübt" bzw. konditioniert werden. Der Schlüssel zu einer guten Beziehung ist dabei die Kommunikation. Die Partner müssen sich darüber austauschen, was lustvoll empfunden wird und was nicht. Lange Zeit hat man Behinderten eingeredet, daß die einzige sexuelle Befriedigung, die für sie möglich sei, in der Freude liege, ihren Partner zu befriedigen. Kein Mensch kann lange eine so edle Haltung bewahren. Genauso wichtig ist es, selbst Lust zu erwarten und zu empfinden. Eine ausgeglichene Partnerschaft ist nur möglich, wenn bei beiden Partnern Nehmen und Geben in einem Gleichgewicht stehen. Ein weiterer Mythos in diesem Zusammenhang ist sicher, daß der Koitus, der Geschlechtsverkehr, die einzige und richtige Möglichkeit sei, seine Sexualität auszuleben.

Behandlung

Folgende Behandlungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung:

Konditionierung
Bahnung, Konditionierung, Sexualtherapie im engeren Sinne, Entscheidend scheint bei Kindern mit einer Querschnittlähmung die Vermittlung von Zärtlichkeit zu sein. Die Haut ist das größte Sexualorgan. Taktile Sensibilisierung, die Vermittlung von Hautreizen schon früh durch die Eltern, sind für die psychosexuelle Entwicklung unerläßlich. So wie der Blinde lernt, seine anderen Sinne zu schärfen, sollte das Spina bifida-Kind von klein an seine Hautsinne zu maximaler Wahrnehmung bringen. Konditionierung bedeutet die Erforschung und Entdeckung des eigenen Körpers, dem Auslösen sexueller Empfindungen bis zur Masturbation. über Masturbation ist in der Vergangenheit von religiöser, moralischer und medizinischer Seite viel Unsinn erzählt worden. Zweifellos ist es eine völlig persönliche Entscheidung, wie jemand Sexualität auslebt. Masturbation ist eine Quelle sexueller Lust, und es gibt keinen Grund, deshalb Schuldgefühle zu entwickeln. Es ist die Möglichkeit, den eigenen Körper kennenzulernen und sexuelle Reaktionen einzuüben.

Hilfsmittel
Dazu gehören Vibratoren, Penisversteifer, Saugpumpen. Ein Vorteil all dieser Hilfsmittel ist, daß ihre Anwendung - mit Ausnahme von Penisringen, die nach Anwendung nicht vergessen werden dürfen - völlig unschädlich und ungefährlich ist. Bei sehr schwacher Sensibilität kann mit einem Vibrator eben vielleicht doch ein Orgasmus ausgelöst werden. Eine diskrete und preiswerte Art, sich solche Hilfsmittel zu besorgen, ist der Versandhandel.

Medikamente
Bei nur mäßig ausgeprägter Erektionsschwäche kann die äußerliche Anwendung einer "Herzsalbe" vielleicht den gewünschten Effekt bringen. Querschnittgelähmte Frauen können Gleitmittel oder Massageöle benutzen, um die fehlende Lubrikation auszugleichen. Eine - mittlerweile sehr bewährte - Methode ist die SKAT-Therapie (Schwellkörperautoinjektions-Therapie), um eine ausreichende Erektion zu erreichen. Dabei wird eine gefäßaktive Substanz direkt in den Schwellkörper injiziert. Dieses nichtoperative Verfahren ist sehr zuverlässig und erfreut sich bei Querschnittgelähmten (und Nichtgelähmten!) größter Beliebtheit. Eine Neuerung, endgültige Ergebnisse sind abzuwarten, ist die Gabe gefäßaktiver Substanzen in die Harnröhre, ein völlig schmerzloses Verfahren.

Operationen
In Frage kommt u.U. der Einsatz sogenannter Penisprothesen. Wegen der nach wie vor hohen Komplikationsrate (bis zu 30 %), der Gefahr der - unbemerkten - Durchwanderung bzw. Penetration und Dekubitusbildung lehnen wir dieses Verfahren bis auf Ausnahmefälle (Versorgung mit Kondomurinal) ab.

Reproduktion
Bei Mädchen mit Spina bifida setzt die Menstruation häufig früher ein. Dies bedeutet, daß das Kind schon wesentlich früher über die biologischen Zusammenhänge unterrichtet sein sollte, damit das Mädchen die Menarche nicht unvorbereitet erlebt. Querschnittgelähmte Frauen sind grundsätzlich genauso in der Lage, Kinder zu bekommen wie Nichtbehinderte. Im Umkehrschluß bedeutet dies die Notwendigkeit von Empfängnisverhütung, wobei wir den Gebrauch von Intrauterimpessaren zurückhaltend beurteilen wegen der vielleicht doch erhöhten Infektionsgefahr. Mögliche Komplikationen eines IUPs werden u.U. bei fehlender Sensibilität zu spät erkannt.

Bei der Geburt besteht für eine querschnittgelähmte Frau kein Unterschied: Wehen und Austreibung sind ein vegetativer, autonomer Vorgang, der unabhängig von der Lähmung abläuft, die Eröffnungswehen können jedoch schmerzlos, d.h. unbemerkt ablaufen. Fehlende Bauchpresse oder extreme Beckenbodenspastizität können eine Sectio notwendig machen. Bei querschnittgelähmten Männern beträgt die Chance, Vater zu werden, 50 %. Dabei gilt der Grundsatz, je höher die Lähmung, um so ungünstiger. Problematisch ist in der Regel die Samengewinnung, wobei Vibratoren, Elektrostimulation und Medikamente zum Einsatz kommen. Zur Zeit gibt es in Deutschland jedoch nur ein Zentrum, das sich mit diesem Problem erfolgreich befaßt.