MACE mit Spülstoma



Ein nicht gerade neues aber dennoch relativ unbekanntes Verfahren zur Behandlung der Stuhlinkontinenz stellt die Anlage eines Spülstomas dar. Zwar zählt diese Behandlung zu den operativen Verfahren, aber eigentlich ist es eine konservative Behandlungstechnik mittels einer Darmspülung.

Im April des Jahres 1989 wurde in dem Londoner public house The Moon, unweit des weltberühmten Great Ormond Street Hospital for Children, eine verblüffend einfache Idee zur Therapie der stigmatisierenden Überlauf-Stuhlinkontinenz bei chronischer Obstipation geboren. Das ursprünglich als ACE apostrophierte und später nach dem Erstbeschreiber Padraig Malone benannte Verfahren kombiniert den aus der rekonstruktiven Urologie stammenden intermittierenden Katheterismus einer antirefluxiven, kleinkalibrigen Röhre, dem Mitrofanoff-Prinzip mit einer antegraden Darmspülung, um eine möglichst vollständige Entleerung des Kolons zu erreichen. Die Technik sollte als Ultima Ratio nach dem Fehlschlagen sämtlicher herkömmlicher Behandlungsversuche und zur Vermeidung einer verstümmelnden Kolostomie bei Kindern und Jugendlichen mit Spina bifida nicht nur zur Beseitigung der Stuhlinkontinenz, sondern vor allem auch zu einer größeren Unabhängigkeit und damit zu einer signifikanten Verbesserung ihrer Lebensqualität führen. Zehn Jahre nach Publikation der vorläufigen Ergebnisse und durch schrittweise Erweiterung des Indikationsspektrums hat das Verfahren deutlich an Popularität und Verbreitung gewonnen. Mittlerweile wurden mehrere Modifikationen der operativen Technik und des Einlaufregimes beschrieben.

Indikationen

Eine Indikation für MACE stellen sämtliche Fehlbildungen und Erkrankungen dar, die mit einer durch chronische Obstipation hervorgerufenen Überlauf-Stuhlinkontinenz einhergehen, wie zum Beispiel Spina bifida, anorektale Malformationen, Rückenmarkverletzungen, aber auch der postoperative und idiopathische chronische Stuhlverhalt in sämtlichen Altersklassen. In jedem Fall sollten vor dem Einsatz von MACE sämtliche konservativen Therapieoptionen – retrograde Einläufe, Wash-outs, Suppositorien – vollständig ausgeschöpft worden sein. Auch wenn mit diesen Maßnahmen soziale Kontinenz erzielt werden kann, sollte bedacht werden, dass MACE den Betroffenen darüber hinaus nicht selten zu einer größeren Unabhängigkeit verhilft. Dies gilt in besonderem Maße für Rollstuhlfahrer, die bei der Applikation retrograder Einläufe oder manueller Ausräumung in der Regel auf die Hilfe Dritter angewiesen sind. Dieser Umstand wird häufig insbesondere von Jugendlichen als demütigend empfunden und verstärkt in vielen Fällen ohnehin bereits bestehende regressive Tendenzen.

Alter, Timing und Prognose

Während sich das ursprüngliche Patientenkollektiv ausschließlich aus Kindern und jungen Erwachsenen zusammensetzte, liegen inzwischen umfangreiche Erfahrungen mit MACE in fast allen Altersgruppen vor, wobei sich drei Autoren speziell der klinischen Wertigkeit der Methode bei Erwachsenen widmeten. Bei kongenitalen Fehlbildungen sollte der Operationszeitpunkt zwischen dem dritten Lebensjahr und dem Einsetzen der Pubertät liegen. In dieser Phase ist die Inkontinenz in der Regel vollständig ausgeprägt und der subjektive Leidensdruck der Kinder als erfolgsentscheidender Motivationsfaktor erheblich.Eine stabile soziale Situation und ein intaktes familiäres Umfeld gelten als günstige Faktoren für eine hohe postoperative Compliance. Propulsive Störungen wie etwa Morbus Hirschsprung, chronisch idiopathische Obstipation gelten als eher ungünstig im Hinblick auf einen Behandlungserfolg. In diesen Fällen wird MACE nur diskutiert, wenn ein Anus praeter die einzige Alternative darstellt.

Prinzip und präoperative Vorbereitung

In der ursprünglichen Version war MACE die Kombination zweier publizistisch und klinisch gut etablierter Prinzipien. Dass eine antegrade Darmspülung zu einer kompletten Entleerung des Kolons und damit zwangsläufig unabhängig von der Sphinkterfunktion zu einer temporären Kontinenz führen würde, war bekannt. Das praktische Problem der Applikation der Einläufe wurde durch die Übernahme einer in der Urologie weit verbreiteten Technik gelöst: die kontinente Appendikozökostomie basiert auf dem zehn Jahre zuvor von dem Franzosen Paul Mitrofanoff bei Patienten mit neurogener Blasenentleerungsstörung beschriebenen Flap-valve-Prinzip mit Kompression einer durch Tunnelbildung auf fast der gesamten Länge in die Reservoirwand inkorporierten Röhre (Appendikovesikostomie). Der Widerstand des so entstehenden Ventils nimmt bei Druckanstieg im vorgeschalteten Reservoir zu und verhindert so mit mehr als 90-prozentiger Zuverlässigkeit einen Flüssigkeitsaustritt. Vor dem Eingriff wird der Darm in üblicher Weise entleert, was in der speziellen Population bei entsprechend schonendem Vorgehen durchaus mehrere Tage in Anspruch nehmen oder gar unmöglich sein kann. Die unmittelbar präoperative Gabe parenteraler Antibiotika erfolgt gemäß den Gepflogenheiten in der Darmchirurgie.

Kontinenzmechanismus

Das katheterisierbare Conduit wurde ursprünglich in Analogie zum Mitrofanoff-Prinzip durch Abtrennen der Appendix an ihrer Basis mit Belassen einer Gewebemanschette, Drehen der Appendix, Kappen der Spitze und Implantation des distalen Segments in einen zökalen Schleimhauttunnel gebildet. Die Appendixbasis wurde in die Haut eingenäht. Inzwischen werden meist einfachere Techniken mit orthotoper Appendix verwendet. Der Wurmfortsatz wird dabei entweder in den Blinddarm eingeschlagen, ähnlich einer Nissen-Fundoplicatio, oder wie von Gerharz et al. beschrieben und von Malone empfohlen, nach Inzidieren der Taenia libera submukös eingebettet. Einige Autoren beschreiben auch ohne eine der beschriebenen Manipulationen gute Ergebnisse hinsichtlich der Kontinenz. Allerdings ist die Appendix weder immer verfügbar noch in jedem Fall für rekonstruktive Maßnahmen geeignet. In dieser Situation muss der Operateur mit adäquaten Alternativen vertraut sein. Als alternative Lösungen wurde die Verwendung von Ureterstümpfen, tubularisierter Darmwandlappen oder longitudinal verschmälerter Ileumsegmente beschrieben. Die meisten dieser Verfahren blieben jedoch Kuriositäten ohne klinische Relevanz oder besitzen ein sehr stark eingeschränktes Indikationsspektrum. Der initiale Enthusiasmus hinsichtlich transversal retubularisierten Ileums als Alternativtechnik der ersten Wahl wurde mit Verfügbarkeit der ersten Langzeitergebnisse gedämpft.An mehreren Zentren wird das MACE-Conduit mit exzellenten Ergebnissen laparoskopisch konstruiert. Aus den entsprechenden Berichten geht hervor, dass bei jungen Patienten ohne Voroperationen das Aufsuchen der Appendix und die Hautimplantation durch den Portkanal erheblich einfacher und weniger belastend ist.

Hautimplantation – Stomabildung

Die Schwäche des Prinzips liegt in der ausgeprägten Stenoseneigung des Stomas, meistens im Hautniveau. Die Stenoserate ist abhängig von Qualität und Länge der Nachbeobachtung und liegt bei durchschnittlich 29 Prozent. Wird ein Mitrofanoff-Stoma nicht genutzt, kommt es zur vollständigen Obliteration. Jüngere Modifikationen der Anastomose von Kontinenzmechanismus und Haut sollen die Stenoserate senken und kosmetisch günstigere Ergebnisse erzielen. Die verschiedenen Techniken ähneln alle dem von Rodeck erstbeschriebenen Einnähen eines U- oder V-förmigen Hautlappens in einen korrespondierend spatulierten Katheterkanal. Diese Maßnahme erscheint ausreichend, wenn die Mitrofanoff-Röhre in der Tiefe des Umbilikaltrichters an die Körperoberfläche angeschlossen wird. Wird der Unterbauch als Lokalisation für das Stoma ausgewählt, hat sich die so genannte VZQ-Technik bewährt; hierbei wird die Rodecksche Plastik durch einen zusätzlichen Hautlappen abgedeckt. Ein Katheter des Kalibers 8 bis 14 Charriere wird für 10 bis 21 Tage im neu geschaffenen Conduit belassen. Zwischen dem fünften und siebten postoperativen Tag wird mit der Applikation der Einläufe begonnen.

MACE in der Urologie – Doppelinkontinenz

In vielen Fällen von Stuhlinkontinenz besteht gleichzeitig eine ähnlich belastende Harninkontinenz, insbesondere bei hohen Rückenmarkläsionen. Hier liegt die Bedeutung der MACE-Prozedur für den rekonstruktiv tätigen Urologen. Eine einzeitige operative Beseitigung beider Probleme gilt inzwischen als Standardvorgehen. In der Regel wird dabei eine klassische Mitrofanoff-Vesikostomie mit MACE kombiniert, was die Existenz beziehungsweise Konstruktion zweier geeigneter tubulärer Strukturen erfordert. Entweder wird die Appendix geteilt oder es wird neben dem Wurmfortsatz eine der oben beschriebenen Alternativen genutzt. Mor et al. verwendeten in ihrer Serie Appendix, Ileum oder einen Zökumlappen für den MACE-Kanal und Ureter, Ileum oder tubularisierten Harnblasendetrusor als Zugang zur Blase, die beiden Stomata wurden unmittelbar nebeneinander im rechten Unterbauch platziert.

Einlauf-Regime

Der erste Einlauf wird über den intraoperativ eingelegten Katheter unmittelbar nach Einsetzen der Peristaltik, meist zwischen dem fünften und siebten postoperativen Tag, verabreicht. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass insbesondere der Patient im Rahmen eines ausführlichen Aufklärungsgesprächs mit dem Umstand vertraut gemacht wurde, dass das Etablieren eines erfolgreichen Einlauf-Regimes immer einige Wochen und nicht selten mehrere Monate in Anspruch nimmt. Applikationsfrequenz, Menge und Zusammensetzung des Einlaufs sind individuell unterschiedlich und nur schwer vorhersagbar. Zu Beginn sind tägliche Einläufe empfehlenswert, die Intervalle werden jedoch in der Regel auf jeden zweiten oder dritten Tag gestreckt. Die Dauer des Einlaufs, der Gesamtvorgang einschließlich des Abführens beträgt je nach Verträglichkeit im Durchschnitt cirka 40 bis 60 Minuten. Ursprünglich war als Stimulus eine Phosphat-Lösung mit 50 ml Phosphat verabreicht worden, gefolgt von 500 ml physiologischer Kochsalzlösung. Nach mehreren Fällen einer Phosphatintoxikation wurde empfohlen, eine Gesamtmenge von 100 ml Phosphat nicht zu überschreiten. Selten kommt es unter diesem Einlauf-Regime zu Schmerzen, die dann durch Spasmolytika oder Süßholzwurzelextrakt behoben werden können. In zahlreichen Zentren wird inzwischen Leitungswasser eingesetzt, ohne den Erfolg des Verfahrens zu schmälern.

Komplikationen Stomastenose

Wie aus den umfangreichen Erfahrungen mit dem Mitrofanoff-Prinzip bei urologischen Patienten nicht anders zu erwarten, firmiert auch in sämtlichen MACE-Serien die Stomastenose mit durchschnittlich 29 Prozent als häufigste Komplikation.Das Stenoserisiko bei MACE-Patienten ist durch die vergleichsweise niedrige Katheterisierungsfrequenz von zwei- bis dreimal täglich versus circa vierstündlich bei klassischer Appendikovesikostomie sogar erhöht, viele Autoren raten vor diesem Hintergrund daher zur prophylaktischen Kathetereinlage auch an den Tagen ohne Einlaufapplikation. Die Behandlung der Stomastenose ist in der Regel einfach und kann in Lokalanästhesie und unter ambulanten Bedingungen durchgeführt werden. Die fibrotischen Areale können mit dem Skalpell oder dem Sachse-Urethrotom inzidiert oder komplett entfernt werden. Einige Autoren berichten über den erfolgreichen Einsatz eines Lasers. Die alleinige Dilatation ist bei manifester Stenose nur selten auf Dauer erfolgreich.

Inkontinenz – Leakage

Bei durchschnittlich elf Prozent der Patienten kommt es zu einem revisionsbedürftigen Flüssigkeitsaustritt über das Stoma, insbesondere unmittelbar im Anschluss an den Einlauf. Auf Grund dieser Tatsache tragen viele Patienten deshalb temporär Einlagen oder Windeln, um "Unfälle" zu vermeiden. Vor allem die gelegentlich deutliche Latenz bis zum Einsetzen des Behandlungserfolges hat bei einer Reihe von Patienten zur Aufgabe und damit zum Scheitern von MACE geführt.

Metabolische Störungen


Die Phosphatintoxikation mit konsekutiver hypokalzämischer Tetanie ist vor allem bei Kindern vor dem zweiten Lebensjahr ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Das mit maximal zehn Prozent bezifferte Risiko kann durch die Verabfolgung milderer Einläufe vollständig beseitigt werden. Einläufe mit Leitungswasser sollten wegen der Gefahr einer Hypernatriämie und Hyperchlorämie nur mit nicht enthärtetem Wasser erfolgen.

Scheitern von MACE


In den gesichteten Serien liegt der Anteil der Patienten, die MACE zum jeweiligen Untersuchungszeitpunkt regelmäßig und erfolgreich nutzten, zwischen 61 und 100 Prozent. Zu den Erfolgen werden allerdings in der Regel auch diejenigen Patienten gezählt, die MACE aufgrund einer Besserung ihrer Symptomatik nicht mehr anwenden. Alle Autoren stimmen prinzipiell darin überein, dass die meisten Fehlschläge auf einer schlechten Planung im Vorfeld der Operation und weniger auf dem Prinzip selbst beruhen. Insbesondere bei Kindern und Heranwachsenden ist eine umfassende interdisziplinäre Abklärung der Patienten und des sozialen Umfeldes wünschenswert. Da auch die effiziente Anwendung von MACE nicht zu einer vollständigen Normalisierung führt, bewahrt eine realistische Erwartungshaltung die Patienten vor demotivierenden Enttäuschungen. Aufklärungsgespräche sollten idealerweise unter Einsatz von Lehrvideos geführt werden. Weiter hat sich als Vorteilhaft erwiesen, daß Gespräche mit Betroffenen, die die MACE-Technik bereits verwenden einen guten Beitrag zur Entscheidungsfindung leisten können.

Zusammenfassung

Hat man dem Problem der Harninkontinenz bei Patienten mit dysrhaphischen Fehlbildungen schon früh Aufmerksamkeit geschenkt, war noch bis vor wenigen Jahren die Stuhlinkontinenz in vielen Fällen der limitierende Faktor im Hinblick auf eine gelungene soziale Integration.Selbst bei Erfolg sind konservative Maßnahmen zur Darmentleerung wie retrograde Einläufe, Suppositorien und die manuelle Ausräumung auf Dauer nur schwer zu akzeptierende Prozeduren, da sie die Betroffenen unweigerlich in eine von großer Verlegenheit geprägte, lebenslängliche Abhängigkeit von ihren Eltern, dem Pflegepersonal oder anderen Dritten zwingen und halten. Die von Malone et al. beschriebene, verblüffend naheliegende Kombination des aus der rekonstruktiven Urologie stammenden Mitrofanoff-Prinzips und der antegraden Darmspülung war zunächst nur als Alternative zur Kolostomie bei konservativ therapierefraktären Fällen gedacht.

Mit zunehmender Erfahrung wurde das Indikationsspektrum vorsichtig erweitert und von Kindern und Jugendlichen auch auf Erwachsene ausgedehnt. Inzwischen erlaubt das große Repertoire technischer Optionen eine Adaptation der Methode auf praktisch jede anatomische und funktionelle Situation. Einige Autoren raten sogar in dem speziellen Krankenkollektiv und in Antizipation einer möglichen rekonstruktiven Nutzung des Wurmfortsatzes von der Gelegenheitsappendektomie ab. Die Pflege des Stomas und die Applikation des Einlaufs ist auch für Kinder und an den Rollstuhl gebundene Patienten problemlos und im Wesentlichen ohne fremde Hilfe möglich.

Banieghbal und Davies konnten mit ihrem Bericht über den erfolgreichen Einsatz von MACE bei Kindern aus der untersten sozialen Schicht Südafrikas eindrucksvoll belegen, dass das einfache Verfahren auch unter widrigen Umständen und jenseits westeuropäischer Standards praktikabel ist. Eine signifikante Stärkung des Selbstvertrauens sechs Monate nach MACE konnte unter Einsatz standardisierter Instrumente bei Kindern mit Myelomeningozele nachgewiesen werden. Bei der Indikationsstellung muss insbesondere auch das soziale Umfeld sorgfältig berücksichtigt werden. Eine hohe Motivation vonseiten des Patienten und seiner Angehörigen ist unabdingbare Voraussetzung für einen Behandlungserfolg. Ähnlich wie für die komplexen Formen der Harnableitung gilt auch für das MACE-Verfahren, dass Indikationsstellung, Eingriff, Etablierung des Einlauf-Regimes und Nachsorge Zentren mit entsprechender Erfahrung vorbehalten bleiben sollten.

Wer weitere Fragen zu diesem Verfahren hat, der kann sich mit Priv.-Doz. Dr. med. Elmar W. Gerharz der Urologischen Klinik und Poliklinik der Bayerischen Julius Maximilians-Universität in Würzburg in Verbindung setzen, um weitere Informationen zu dieser Behandlungstechnik zu erhalten.





Letzte Änderung am:  21 Dez 2013 13:55


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